2000-Euro-Supergrill – und Billigfleisch drauf?

25. Juni 2020

„2000-Euro-Supergrill – und Billigfleisch drauf?“, Schwarzwälder Bote, Ausgabe Freudenstadt, 25.06.2020

Interview – Was den Obermeister der Metzgerinnung an den Corona-Desastern der Fleischindustrie wundert – und was nicht

»Wenn Tiere ihr Leben lassen, um uns zu ernähren, gebührt es die Achtung vor dem Lebewesen und der Natur, dass das so sorgfältig, schnell und schmerzlos wie möglich gemacht werden muss«: Uwe Wiedmaier (55). Er ist Obermeister der Metzgerinnung Freudenstadt/Horb. Foto: Iversen

Freudenstadt/Horb. Ein Corona-Desaster nach dem anderen erschüttert derzeit die Fleischindustrie. Kein Wunder, sagt Uwe Wiedmaier (55). Er ist Obermeister der Metzgerinnung Freudenstadt/Horb und seit 39 Jahren im Beruf, leitet einen Familienbetrieb in sechster Generation. Was ihn nervt, sind Leute, die Billigfleisch auf den 2000-Euro-Grill legen, und Politiker, die sich jetzt aufregen. Die Politik habe die Riesen-Schlachthöfe doch selbst mit aufgebaut.

Herr Wiedmaier, erst Müller-Fleisch in Birkenfeld, dann Tönnies in Westfalen und jetzt die Hühnerfleisch-Fabrik Wiesenhof – überrascht Sie das noch?

Natürlich sind Strukturen mit billigen Subunternehmern aus dem Ausland immer schwierig. Allein die Wohnsituationen und der Sammeltransport zur Arbeitsstelle, sowie der häufige Mitarbeiterwechsel und das Arbeiten in geschlossenen Räumen begünstigen eine Infektionsausbreitung. Das ist aber auch bei den Erntehelfern oder Arbeitern auf Großbaustellen, die in Containern wohnen, nicht anders. Es liegt also nicht an der Branche, sondern am System. Daher überrascht es nicht.

Ärgert Sie das?

Mich ärgert vor allem, wenn sich verantwortliche Politiker jetzt völlig entrüstet vor die Kamera stellen und so tun, als hätten Sie das nicht gewusst. Diese Strukturen mit Riesenschlachthöfen und Großbetrieben waren seit den 1980er-Jahren von der Politik gewollt und wurden mit hohen Fördermitteln geschaffen. Jeder kleine Handwerksschlachthof wurde mit teilweise völlig überzogenen Auflagen und Bürokratieforderungen konfrontiert, die kaum einzuhalten sind. Zum Glück haben wir hier in der Region noch regionale Kreisläufe, die sehr gut funktionieren. Wir beziehen unsere Schlachttiere in einem 15 Kilometer Umkreis von Glatten direkt von den Landwirten. Auch Kartoffeln, Eier und Mehl beziehen wir direkt vor Ort. Das ist gut für die Tiere und die Menschen in der Region. Da gibt es keine globalen Lieferketten, die in der Krise zusammenbrechen, und die Versorgung der Bevölkerung ist gesichert. Viele meiner Innungs-Kollegen machen das auch so. Die Firma Tönnies hat erklärt, das Problem abstellen und die Branche neu ausrichten zu wollen.

Glauben Sie das, und kann die Branche das überhaupt?

Es wird immer der Begriff »Fleischbranche« in Politik und Medien verwendet, wenn über Skandale und Probleme berichtet wird. Tatsächlich ist es aber ein Problem der Fleischwarenindustrie. Ich vertrete das Fleischerhandwerk, und wir haben diese Probleme nicht. Der Deutsche Fleischerverband versucht schon seit Jahren, dies richtigzustellen. Leider werden wir als Handwerksmetzger dann immer mit an den Pranger gestellt, obwohl wir ganz andere Strukturen haben. Dass die Fleischwarenindustrie ihre Probleme kurzfristig abstellen kann, daran glaube ich eigentlich nicht. Auch, weil man die benötigten Arbeitskräfte leider nicht mehr auf dem deutschen Arbeitsmarkt findet. Der Handel wird sich, allen voran die Discounter, mit aller Macht gegen höhere Lebensmittelpreise zu Gunsten des Tierwohls und gerechter, hygienischer Arbeit zur Wehr setzen. Der Ausfall von Erntehelfern aus Osteuropa wegen Corona war kaum wettzumachen. Geht es ohne solche modernen Wanderarbeiter heutzutage nicht mehr, um die Lebensmittelproduktion sicherzustellen? Körperliche Arbeit wird in Deutschland seit etlichen Jahren geradezu verpönt. Die Menschen, die heute beklatscht werden, wurden letztes Jahr noch mitleidig belächelt. Ich erinnere nur an die Geschichte der Kundin mit ihrem Kind vor der Fleischtheke. Der Mutter diente der Beruf des Verkäufers als schlechtes Beispiel für ihr Kind: »Wenn du nicht lernst, landest du dort.« Dabei sind diese Berufe höchst anspruchsvoll und erfordern großes Wissen und Können sowie ein hohes Maß an sozialer Kompetenz. All die Menschen die täglich im Verkauf, in der Landwirtschaft, im Handwerk oder im Gesundheitswesen arbeiten, sind die, die unser Land am Laufen halten. Leider erfahren diese Menschen viel zu wenig Wertschätzung. Jetzt in der Krise hat sich gezeigt, welche Berufe wirklich wichtig und systemrelevant sind. Ich hoffe sehr, dass hier ein nachhaltiges Umdenken im Land stattfindet. Ein Handwerksmeister ist mindestens genau so viel wert wie ein Bachelor – den Junggesellen gab es bei uns schon viel früher. Und eine Ausbildung im Handwerk ist auf jeden Fall krisensicher.

Was halten Sie von Werkverträgen?

Gar nichts. Ich bin der Meinung, ein Betrieb ist nur so gut wie seine Mitarbeiter. Deshalb hat jedes Unternehmen auch eine Verantwortung gegenüber den Menschen in seinem Betrieb. Da zeigt sich ganz klar der Vorteil von familiengeführten Unternehmen gegenüber Aktiengesellschaften. Bei diesen ist das Personal eine Kostenstelle, und alles ist auf den kurzfristigen Erfolg wie Dividende und Aktienkurs ausgelegt. Da nimmt man dann auch Subunternehmer. Ein Handwerksunternehmen denkt langfristiger und hält seine Mitarbeiter im Betrieb, auch wenn es mal schwer wird.

Wo liegt Ihrer Meinung nach der Kern des Problems?

Höher, schneller, weiter, billiger. Das ist das Problem. Es gibt aber kein unbegrenztes Wachstum. Wir leben schon viel zu lange auf Pump. Bei uns wird ein Supergrill für 2000 Euro gekauft, um dann Billigfleisch vom Discounter drauf zu legen. Das ist schade und hat mehr mit Prestige als mit Lebensqualität zu tun. Wir sollten und müssen in unserer Gesellschaft die Prioritäten völlig neu ordnen. Produziert die Fleischindustrie günstig, weil der Kunde angeblich nur auf den Preis schaue, oder kauft der Kunde günstig, weil es das Billigangebot gibt? Sowohl als auch. Geiz ist leider immer noch geil. Leider gibt es immer noch sehr viele Verbraucher, bei denen Quantität vor Qualität kommt. Natürlich gibt es bei uns auch viele Konsumenten, die aufs Geld schauen müssen. Gleichzeitig werden aber viel zu viele Lebensmittel verschwendet. Es muss nicht jeden Tag Fleisch sein. Aber wenn, dann hochwertiges und regional zu tierfreundlichen und fairen Bedingungen produziertes. Bei all den Rabattaktionen und Sonderangeboten: Sagt ein Preisetikett auf einer abgepackten Wurst im Supermarkt überhaupt etwas aus über die Qualität? Wenn ein frisches Hähnchen im Verkauf drei Euro kostet, muss jedem klar sein, was er da kauft. Für diese drei Euro muss ein Küken aufgezogen und gefüttert, es muss transportiert und geschlachtet, verpackt, gekühlt sowie wieder transportiert werden. Der Verkaufspreis beinhaltet dann noch die Kosten des Vertriebs und die Steuern. Ich glaube, man muss kein Mathematiker sein um zu merken, dass diese Rechnung nicht aufgehen kann. Gute, gesunde Produkte, gute Haltungsbedingungen, kurze Transportwege und schonende Verarbeitung gibt es nicht zum Nulltarif. Ich bin Metzger aus Überzeugung. Das Lebensmittel Fleisch hat eine hohe Wertschätzung verdient. Wenn Tiere ihr Leben lassen, um uns zu ernähren, gebührt es die Achtung vor dem Lebewesen und der Natur, dass das so sorgfältig, schnell und schmerzlos wie möglich gemacht werden muss. Dafür gibt es gute Fachkräfte, die das gelernt haben. Da passen Zeitdruck, Fließband, Kostendruck und angelernte Kräfte nicht ins Bild. Auch Verschwendung von Lebensmitteln passt hier nicht. Gerade deshalb schlachten wir noch selbst, regional mit kurzen Transportwegen, einer ruhigen und stressfreien Schlachtung sowie einer schonenden und möglichst vollständigen Verwertung. Wenn wir uns alle das zu Herzen nehmen und unseren »Mitteln zum Leben« und den Menschen, die sie produzieren, diese Wertschätzung entgegenbringen, erledigen sich viele Probleme, die wir heute haben, von selbst.

Die Fragen stellte Volker Rath

© Die inhaltlichen Rechte bleiben dem Verlag vorbehalten. Nutzung der journalistischen Inhalte ist ausschließlich zu eigenen, nichtkommerziellen Zwecken erlaubt.